Gastbeitrag Klimaschutz

Neue Chancen für Unternehmen bei CO2-Zertifikaten

Neben dem klassischen Emissionshandel für CO2-Zertifikate hat sich ein weiterer Markt entwickelt, wo bestätigt und zertifiziert wird, dass durch ein klimafreundliches Projekt Treibhausgase reduziert werden.

Neue Chancen für Unternehmen bei CO2-Zertifikaten

Gastbeitrag

Neuer Markt für CO2-Zertifikate entwickelt sich

Christian Storck und Florian Baetke

Für die Emission von Treibhausgasen, insbesondere CO2, benötigen europäische Unternehmen aus vielen Sektoren Berechtigungen. Diese werden den Unternehmen in einer bestimmten Anzahl staatlich zugeteilt. Die Gesamtmenge der Berechtigungen wird dabei kontinuierlich in Übereinstimmung mit den internationalen Zusagen der EU-Mitgliedstaaten gesenkt. Übersteigt der Ausstoß von Treibhausgasen die verfügbare Anzahl von Berechtigungen, kann und muss das Unternehmen im Markt zusätzliche Berechtigungen erwerben. Umgekehrt können Unternehmen, die ihre Berechtigungen nicht vollständig verbrauchen, Berechtigungen verkaufen.

Kompensation

Der durch den An- und Verkauf entstehende Handel bei gleichzeitiger staatlicher Reduzierung der verfügbaren Emissionsberechtigungen ist die Grundidee des europäischen Emissionshandels. Diese europäische Vorgabe, Treibhausgase nur gegen Berechtigungen auszustoßen, wird durch nationale Regulierungen ergänzt. In Deutschland ist so das Inverkehrbringen von Brennstoffen nach dem Brennstoffemissionshandelsgesetz geregelt. Nun gibt es aber auch Projekte, die beispielweise CO2 einsparen, den CO2-Ausstoß reduzieren, oder der Atmosphäre sogar CO2 entziehen. Der europäische Handel mit staatlichen Emissionsberechtigungen ermöglicht zwar, Berechtigungen zum CO2-Ausstoß zu löschen – auch ohne, dass eine Emission erfolgt ist. Einen Zugang für solche klimafreundlichen Projekte zu diesem Handel als Emittent (Ausgeber) zusätzlicher Emissionsberechtigungen gibt es im europäischen und nationalen Emissionshandel jedoch nicht. Vor diesem Hintergrund hat sich neben dem klassischen Emissionshandel ein weiterer Markt entwickelt. Es wird – gegen Zahlung – bestätigt und zertifiziert, dass durch ein klimafreundliches Projekt Treibhausgase reduziert werden und somit zur Einsparung von Emissionen beigetragen wurde.

Handel boomt

Diese Einsparung kann beispielsweise durch die zusätzliche Pflanzung von Bäumen geschehen. Daher werden diese Zertifikate auch (freiwillige) Kompensations- oder Ausgleichszertifikate bzw. auf Englisch Voluntary Carbon Credits oder auch Verified Carbon Credits, oft auch als VCCs abgekürzt, genannt. Die VCCs können dann ge- und verkauft werden und schließlich auch an einem Markt gehandelt werden. Unternehmen können sich durch den Erwerb von VCCs klimaneutral aufstellen, indem sie durch solche Kompensationszahlungen ihre Klimabilanz verbessern und ausgleichen.

Der Handel mit diesen Kompensations- und Ausgleichszertifikaten boomt. Weltweit entstehen neue Handelsplätze für VCCs und die Nachfrage nach klimafreundlichen Projekten übersteigt bereits das Angebot. Europäische und nationale Vorgaben werden ausgeweitet und strenger. Weitere Gesetze, die umweltfreundlicheres Handeln von Unternehmen verlangen, sind geplant. Der drohende Klimawandel und der dadurch resultierende Druck von Investoren und Verbrauchern setzt Unternehmen unter Zugzwang. Kaum eine Fluglinie, die bei der Buchung von Flugtickets nicht eine Kompensation der durch den Flug entstandenen Emissionen anbietet. Es gibt Studien, die erwarten, dass das Handelsvolumen mit den Ausgleichszertifikaten bis 2030 15-mal höher sein wird als 2020, bis 2050 sogar 150-mal so hoch. Mit dem An- und Verkauf von Ausgleichszertifikaten lässt sich Geld verdienen, gerade wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt.

Auch Banken bieten Finanzprodukte in Bezug auf VCCs an. So gibt es bereits Derivate auf VCCs: Beispielsweise einigen sich zwei Parteien heute auf den Kauf(preis) für die Lieferung eines Ausgleichszertifikates in der Zukunft, auf Termin. Je nach der Preisentwicklung der VCCs ist dies ein gutes oder schlechtes Geschäft. Die International Swaps and Derivatives Association, Inc. (ISDA) hat im Januar 2023 eine Handelsdokumentation für den Abschluss solcher Derivatetransaktionen veröffentlicht. Der Markt hatte hierauf lange gewartet.

Es ist davon auszugehen, dass weitere Musterdokumentationen für VCC-Transaktionen folgen werden (z.B. für Optionen, Termingeschäfte mit Barausgleich oder physischer Abwicklung). Europäische und asiatische Börsen haben bereits Handelsplattformen für standardisierte Finanzprodukte auf VCCs erstellt oder stehen kurz davor. Start-ups bieten mit der Tokenisierung von VCCs bereits digitale Handelsmöglichkeiten an.

Kritische Stimmen

Es gibt jedoch auch Kritik an den Ausgleichszertifikaten: Klimaschutz funktioniere nur, falls der CO2-Austoß vermieden werde. VCCs knüpfen an ein bereits klimaschädliches Verhalten an, setzen also ein klimaschädliches Verhalten voraus. Daher sei der klassische Emissionshandel, in dem nur ausgestoßen werden darf, soweit eine Berechtigung vorliegt, der richtige Ansatz und entsprechend auszuweiten. Allerdings wird es realistischerweise weiterhin Treibhausgasemissionen geben, so dass man um den VCC-Markt nicht herumkommen wird.

Doch was passiert, falls durch das konkrete Projekt, dessen Klimafreundlichkeit bestätigt und zertifiziert wurde, gar kein CO2 oder CO2-Äquivalent aus der Atmosphäre genommen wird, sprich, das Projekt gar nicht klimafreundlich ist? Einige Projekte beruhen auf Prognoseentscheidungen: Wie klimafreundlich wird ein Vorhaben voraussichtlich sein, wieviel CO2 oder CO2-Äquivalent wird der neu gepflanzte Wald der Atmosphäre entziehen? Schon auf zu erwartenden Werten werden von einigen Projekt- und Zertifikatanbietern Ausgleichszertifikate angeboten. Und dann wächst der Wald nicht wie geplant oder wird auf sonstige Weise, z.B. durch einen Sturm, zerstört. Das auf der Prognose beruhende Zertifikat ist bereits im Markt und vielleicht sogar schon in Klimabilanzen von Unternehmen eingestellt. Einem der größten Anbieter von VCCs, Verra, wird vorgeworfen, dass ein großer Teil der von Verra als klimafreundlich zertifizierten Waldprojekte keine Einsparung von Treibhausgasen bewirkt habe, diese Zertifikate von Verra also ökologisch wertlos seien.

Ob richtig oder nicht, es ist offensichtlich, dass der Markt für klimafreundliche Projekte als Grundlage für VCCs anfällig für Manipulationen ist. Es ist sehr schwer, teilweise sogar unmöglich, zu kontrollieren, ob jemand im Regenwald 100 oder 300 Bäume gepflanzt hat. Sobald diese Differenz als zertifizierte Einsparung von Treibhausgasemission als Kompensation geltend gemacht wird, geht die Idee, unvermeidbare Emission auszugleichen, nicht auf. Daher ist die Kontrolle, nicht nur der Zertifizierungsstellen, sondern auch und insbesondere der hinter den VCCs liegenden Projekten entscheidend für den ökologischen Nutzen der VCCs und, in der Folge, auch für den Handel mit CO2-Kompensationszertifikaten.

Nachholbedarf

Hier besteht noch enormer Nachholbedarf. Kontrolle ist aufwändig und kostet Zeit und Geld. Doch nur so lässt sich die Idee von Ausgleichszertifikaten wirkungsvoll umsetzen. Wer seine Emissionen ausgleichen lassen möchte oder mit VCCs handelt, muss entweder den ökologischen Nutzen prüfen oder darauf vertrauen dürfen, dass die umweltfreundliche Wirkung tatsächlich eintritt. Ansonsten entsteht nicht nur die Gefahr eines Reputationsschaden, sondern auch der lobenswerte Grundgedanke von VCCs, freiwillig un- oder schwer vermeidbare Emissionen zu kompensieren, wird nicht erreicht werden.

Christian Storck ist Partner, Florian Baetke Managing Associate der Kanzlei Linklaters

Christian Storck

Partner der Kanzlei Linklaters

Florian Baetke

Managing Associate bei Linklaters